ABOUT THE WORK OF VALENTINA TORRADO
Michael Nungesser, 2008
Die Künstlerin Valentina Torrado hat in Uruguay wie in Deutschland studiert, nicht nur Bildende Kunst im engeren Sinne, sondern künstlerische Kommunikation, die es ihr ermöglicht, auf verschiedenen Ebenen zu arbeiten. So agiert Torrado im öffentlichen Raum, schafft Installationen und gestaltet künstlerische Aktionen. Wichtig ist ihr dabei immer, eine enge Beziehung zwischen Leben und Arbeit, zwischen Produzent und Rezipient herzustellen. In einer Projektbeschreibung nennt sie als ihr Ziel, „die Handlung, die Bewegung, die Bildung eines vielseitigen Raumes zu bewirken, d.h. die Geradlinigkeit der Zeit-Raum-Beziehung, die von Strukturen der westlichen Kultur geprägt ist, zu hinterfragen“. Kunst soll in die Gesellschaft hineinwirken, spielerische und interaktive Elemente aufnehmen, um einen Dialog zwischen Künstler und Publikum anzuregen.Torrado begann mit dieser Form der Arbeit schon in Uruguay.
So schuf sie 2004 am Hauptbahnhof von Montevideo die raumkünstlerische Installation „La siesta“. Sie wendete sich mit ihr besonders an Kinder, die während der üblichen mittäglichen Siesta der Eltern lieber spielen statt auszuruhen. Im folgenden Jahr führte Torrado mehrere Aktionen in Europa durch. Dazu zählen „Answer the phone“, eine Performance in Ungarn, bei der das Publikum die Möglichkeit erhielt, in ungewöhnlichen Kleidungsstücken im Straßenalltag aufzutreten. Im Rahmen des Projekts „Die Stadt als Bühne“ zur Problematik des demographischen Wandels entstand in Görlitz die künstlerische Aktion „Let’s make people“. Unter Passanten verteilte Namenssticker sowie darauf bezogene Nachrichten verwandelten die Menschen in Kunstbürger, denen der zentrale Marienplatz als kommunikative Plattform geboten wurde.
Torrados Aktion „Espacio cielo/tierra“ fand in einem Container statt, der zum Teil mit Matratzen ausgelegt war und die Besucher zum Mitspielen animierte, wobei die Künstlerin an das alte Kinderspiel „Himmel und Hölle“ anknüpfte. Diese auch im wörtlichen Sinne Oben und Unten verbindende Rauminstallation bildet zugleich eine Brücke zum malerischen Werk der Künstlerin, das zwar auf einzelnen, in sich abgeschlossenen (meist rahmenlosen) Bildern beruht, diesen aber entweder durch Serien zu bühnenartiger Raumpräsenz verhilft, oder aber das Bild als solches eröffnet in sich verschiedene Raumebenen, die sich mit den Augen durchmessen lassen. Beispielhaft für die raumgreifende, den Betrachter als Ganzes einbeziehenden visuellen Akteur ist die Bildinstallation „Es riecht nach Montevideo“. Hier werden mehrere gleich hohe und ähnlich strukturierte Acrylgemälde in einer Art monumentalen Rund-um- Fries im Raum aufgebaut. Der unregelmäßige, horizontale breite Linienfluss in graublauen bis schwarzgrauen Farbtönen erinnert an den Wellengang des Meeres. Man wähnt sich umgeben von Wasser, und je länger man blickt und sich in meditativer Versenkung auf die Farb- und Formenwelt einlässt, scheint sich diese in Bewegung zu setzen. Ja man glaubt den Geruch des Meeres und sein rhythmisch-monotones Rauschen zu hören.
Eine vergleichbare Arbeit stellt die für das experimentelle Theaterprojekt „Morgen. Metamorphosen“ entwickelte Installation dar: In einem Kirchenraum wurden an Stelle von Gemälden Videos schwimmender, von unten aufgenommener Menschen an Wand und Decke projiziert. Torrados Montevideo-Wandbild wie auch die anderen Gemälde auf Leinwand oder Papier stehen in der Tradition des abstrakten Expressionismus in seiner lyrischzeichenhaften Ausprägung, wie er in der Gegenwart auch von dem in Italien lebenden und arbeitenden US-amerikanischen Maler Cy Twombly weiterentwickelt wird. Torrado baut ihre Gemälde ganz aus Farbe auf.
Meist dominieren helle Töne, denen einzelne dunkle oder kräftig leuchtende Formen eingeschrieben sind. Farbmaterie, mit dem Pinsel in unterschiedlicher Stärke aufgetragen und strukturiert, formt sich zu Farbhäuten oder – Schleiern, erscheint schwerelos oder lastend, transparent oder opak, gestrüppartig verdichtet oder dynamisch flackernd. Farbe erschafft eigene Farbräume, die ineinander übergehen und sich durchdringen, sich überlagern oder hintereinander staffeln. Farbe erscheint auch als Form und deutet Gegenständliches chiffrenartig an – manches hat biomorphen Charakter, anderes scheint eher auf menschliche Konstruktion zurückzugehen. Naturhafte Assoziationen wecken Erinnerungen an weite Landschaften, an Felder und Meer, an Wolken und Regen, Himmel und Erde, bisweilen auch an kosmische Räume. In ihnen tauchen, oftmals nur angedeutet, gleichsam als malerisches Treibgut, geometrische Konturen und dinghafte Gebilde auf, die wie verlorene Metaphern einer verborgenen Geschichte oder Handlung erscheinen. Ein weiteres Element in Torrados Gemälden bildet Schrift.
Titel einzelner Bilder wie „Je suis sans histoire“, „Das ist vergänglich“ oder „Just a crime“ nehmen kurze Sätze auf, die in ungelenker Schrift wie kryptische Traumbotschaften oder Menetekel wirken. Es sind intuitive Eingebungen, oft in deutscher Sprache, die die Künstlerin schon in der Schule in Montevideo lernte. Sie stehen im Zusammenhang mit der Gesamtkomposition, erwachsen ihrer besonderen Atmosphäre und mentalen Gefasstheit. In einer Reihe von Bildern taucht das Wort „Catastrofe“ auf, jeweils mit einer fortlaufenden Ziffer verbunden. Das Gemälde „Absolut catastrofal“ scheint den Endpunkt zu bilden. Es beschwört die totale Katastrophe, wenngleich in subtiler sprachlicher Ungenauigkeit. Sie bringt unterschwellig eine gewisse humoristische Note oder Irritation ein, was wohl auch für die eher unbewusste Anspielung auf die bekannte Reklame eines hochgeistigen Getränks zutrifft. Wie in allen Bildern sind beide Worte in Großbuchstaben geschrieben, was ihrer Bedeutung Nachdruck verleiht. „Catastrofal“ ist aber nur undeutlich zu lesen, da mehrfaches Nachziehen der Buchstaben das Entziffern erschwert – das Bedrohliche verliert so ein wenig an Schärfe. Noch schwerer zu lesen ist „Miss gun and vulkan“ im gleichnamigen Bild, das vor allem von einer weißumrandeten, zellenartigen schwarzen Öffnung beherrscht wird.
Auch in anderen Bildern finden sich immer wieder kraterartige Formen, zum Teil bekrönt von rauchähnlichen Säulen, die an einen Vulkanausbruch denken lassen. Netzartige Strukturen gemahnen an (Fenster)-Gitter. Blau wie Wasser, Rot wie Blut – vielleicht. Schwarze Schatten gebären Leere. Es braut sich etwas zusammen. Eine unauflösbare Spannung beherrscht die Szenarien. Das Betrachten von Torrados Bildern gleicht einer abenteuerlichen Erkundung verminten Geländes. Doch man kommt mit dem Schrecken davon, ist fasziniert, wird auf eigene Ängste und Phantasien verwiesen, spinnt sich eigene Geschichten zusammen, versucht, die Geheimnisse zu lüften und findet doch immer nur neue.