Exhibition "Mares Negros"
"Meer + Malerei : Erinnern Überbrücken Meditieren"
Michael Nungesser, 2015
"Das Meer ist alles, das Wasser ist alles. Auf einer universalen Ebene ist es alles, die Lebensquelle, aber es ist auch Uruguay, das Meer ist Montevideo. Das Meer ist mein Land, mein Vaterland ..." Mit diesen Worten umschreibt die aus Montevideo stammende Künstlerin Valentina Torrado das Verhältnis zu ihren Ursprüngen.
Nach ihrem Studium in Montevideo kam Torrado 2000 erstmals nach Europa mit einem Stipendium für Deutschland. Seit fast zehn Jahren ist sie in Berlin ansässig. Von ihrem Atelier aus kann sie auf die Spree schauen. Doch der Fluss, der Berlin durchquert, ist unvergleichbar mit dem Río de la Plata (wörtlich: Silberfluss), dem Meer-ähnlichen Strom, an dem Montevideo liegt, und der dort, schier endlos breit, in den Atlantik mündet. Nur etwa halb so groß wie Deutschland, liegt Uruguay, ein meist ebenes Land, zwischen den beiden flächenmäßigen Giganten Argentinien und Brasilien. Die "Republik östlich des [Flusses] Uruguay" verfügt über 660 Kilometer Küste. Wasser bildet somit für Valentina Torrado von Kindesbeinen an ein Lebens- und später auch Kunstelixier. Es ist ein vitales Element, sinnlich und emotional, anregend und berauschend.
Immer wieder thematisiert die Künstlerin Wasser – oder Meer – in unterschiedlichen Medien. Das reicht in den letzten Jahren von "Water box" (Videoinstallation, 2008) über "Fließend" (Rauminstallation, 2009) und "Thinking of Home" (Installation", 2011) bis zu ihrer jüngsten Serie der Acrylgemälde "Mares negros" (2013/14). Diese Serie folgt auf die ähnlich geartete Serie "Ensayos en rojo neón" (2010/11), in der das Meer neonrot aufleuchtet, fast blendend in die Augen sticht und sich in ein feuriges Farbfest verwandelt, dem Torrado den Titel "Montevideo mon amour" (2011) verleiht. Danach wird das Meer in ihren Bildern schwarz, wie erstmals 2011 in "El mar no es otra cosa (que un agujero amargo y negro)". Das Meer als schwarzes Loch, als Leerstelle, die schmerzt, als Verlust, der betrübt – kein reales Meer also, sondern eine bildnerische Metapher, poetisch, subjektiv. In den "Schwarzen Meeren" findet sie ihre Fortsetzung.
Mares negros: Doch was bedeutet das – Meer? Meer als das allumfassende, bildfüllende Ganze ...
Meer im figurengroßen, horizontalen Rechteckformat, vom hellen Umfeld sich abhebend – dem "White Cube" des Ausstellungsraumes oder des Ateliers – ein für den Schauenden Raum öffnendes Gegenüber ... Meer als das stets sich wandelnde, immergleiche Unendliche ... Meer als das horizontal sich staffelnde Element, kräuselnd, im schwankenden Gleichgewicht ...Mares negros: Doch was bedeutet das – schwarz?
Schwarz als Grundfarbe, als Richtwert einer Tonskala, als gestaltender Werkstoff ...
Schwarz mit Beimischungen von Weiß zu Grau sich verwandelnd, schäumende Wellen suggerierend, Fließendes, Schlingerndes ...
Schwarz als unbunte Farbe, lichtschluckend, in die Tiefe gehend, magisch, maßlos ...
Die Farbe Schwarz hat sich in die Kunstgeschichte eingeschrieben, als Untergrund oder Kontrastgeber, schließlich in ikonographisch eindringlicher Bedeutung in den "Schwarzen Bildern" von Francisco de Goya über die Nachtseiten des Lebens. Sie kulminiert im puren "Schwarzen Quadrat" von Malewitsch am Beginn des 20. Jahrhunderts, verstanden als Urbild und Schöpfungsikone.
Die fortschreitende Befreiung der Farbe seit der Malerei der Moderne zeitigt bis in die Gegenwart eine Fülle von Kunstwerken, in denen Schwarz dominiert – im dialektischen Wechselspiel mit Weiß. Zahlreiche Themenausstellungen der letzten Jahre zielen auf Schwarz als Farbe von Trauer und Zorn, Ernst und Melancholie, Konzentration und Protest, von Distinktion und Bestimmtheit ...
Die "Mares negros" von Valentina Torrado fügen ein neues Kapitel hinzu – eines, das autobiographisch begründet ist, Erinnerungsarbeit leistet, Überbrückungsfunktion hat, zur Meditation anregt. Das Meer als existenzieller Urgrund, als Sehnsuchtsort, als Projektionsfläche.
Weit weg ist in Berlin das Meer, die mütterliche Matrix. Sie fehlt der Künstlerin. Ihr Fehlen ist ein Mangel, der malend aufgehoben werden kann: das Meer, augenscheinlich präsent im Bild, farbübersetzt, als sinnliche Anmutung und ästhetische Überlebensstrategie.
So taucht das Meer in den Gemälden von Valentina Torrado nicht abbildhaft auf, als schöne Ansicht oder verheißungsvolle Kulisse auf, sondern als elementare Erscheinung, grenzenlos, immer in Bewegung und doch immer da.
Und das Meer ist nicht allein. Meere fügen sich zu einem universalen Ganzen, einem umschließenden, zeitlosen stillen Strömen.
Das Meer von Valentina Torrado ist schwarz, ist dunkel, und doch voller Abtönungen und Schattierungen – eine komplexe, rhythmisch-vielgestaltige Struktur suggestiven Charakters. Je länger man sie mit den Augen in sich aufnimmt, wird sie lebendig, öffnet und bewegt Sinne, steigert Wahrnehmung und Phantasie oder verführt zu Versenkung und Ruhe.